Menschen statt Profite
Das forderten die jugendlichen Aktivisten von Fridays for Future zum weltweiten Klimastreik am 23.09.2022 auch in Erfurt. Doch wo waren die Menschen, denen hier der Vorzug gegeben werden sollte vor rücksichtsloser Ausbeutung durch das herrschende Wirtschaftssystem? Auf dem Fischmarkt hatten sich nur bestenfalls 200 zumeist junge Menschen versammelt. Von Streik konnte auch kaum die Rede sein, denn die Kundgebung und der anschließende kurze Marsch durch die Innenstadt begann nach Schulschluss um 15 Uhr. Damit die Straßenbahn ungehindert passieren konnte und auch sonst der freitägliche Feierabendtrubel nicht weiter gestört wurde, mussten die Demonstranten so zusammenrücken, dass immerhin der Eindruck einer demonstrierenden Masse entstand. Aus meiner Sicht demonstrierte die Mehrheit der Menschen in den umliegenden Straßen eher ihren ungebrochenen Konsumwillen. Eher ungläubig und verwundert, nur manchmal etwas mitleidig, wurde der Demonstrationszug beäugt. Cafés, Restaurants und Geschäfte waren gut gefüllt, die Schlange vor der Eisdiele lang und alle sorgten bei der hiesigen Wirtschaft für weitere Profite. Die seien den Gewerbetreibenden der Region nach den schwierigen vergangenen 3 Jahren und den höchstwahrscheinlich noch schwereren kommenden Zeiten auch gegönnt. Während jene bei steigenden Rohstoffpreisen und Energiekosten, bei Fachkräftemangel und gestörten Lieferketten ihre Profite hart erkämpfen müssen, so sie denn überhaupt welche machen, gewinnen Energiekonzerne, Logistikunternehmen und allerlei Spekulanten an den Warenbörsen. Für letztere zählen nicht die Menschen – außer vielleicht die sehr wenigen Aktionäre und Steakholder, die dabei gewinnen – sondern Wachstum. Dieses kommt aber kaum bei den Menschen, den Kunden wie auch den Gewerbetreibenden, beispielsweise in der Erfurter Einkaufsmeile an. Darauf wies mancher Redebeitrag auf dem Fischmarkt hin. Doch alle die zugehört haben, brauchten diese Reden nicht, da sie ohnehin jener Meinung und ihnen die Zusammenhänge schon weitgehend bekannt sind. Alle die vom Bistrotisch aus nicht gehört haben, was gesprochen wurde, haben nicht mitbekommen, was die Fridays-for-future-Bewegung an diesem Tag auch in anderen Städten deutlich machen wollte: Die Klimakrise darf nicht gegen alle anderen aktuell grassierenden Krisen ausgespielt werden, sondern alles hängt miteinander zusammen. Deshalb redeten auch Vertreter unterschiedlicher Interessengruppen außerhalb der Klimabewegung auf dem Fischmarkt. Diese Komplexität macht passende Lösungen der Probleme nicht einfacher, aber umso wirkungsvoller. Ziel war, sich zu vernetzen und gemeinsam gute Ideen in Richtung Rathaus zu skandieren. Es war fast körperlich erfahrbar, wie die kläglichen Rufe aus dem kleinen Lautsprecher an der ehrwürdigen Fassade gleichsam an der großen Politik abprallten. In Erfurt bot sich für mich eher das Bild eines Tanzes auf dem Vulkan: Noch ist nicht kalter Winter, die Gasrechnung kommt später, es gibt genug zu kaufen, Strom ist noch da, bezahlte Arbeit auch und Umweltkatastrophen ganz weit weg. Wer will sich am Freitag Nachmittag Gedanken über die planetare Zukunft machen? Offenbar nur ein paar junge Leute, die ohnehin sehr wenig vom entgrenzten Wirtschaftswachstum profitieren. Alle anderen schließen die Augen, genießen ihr Eis und hoffen, dass sie nicht zu den Menschen gehören, die aus Profitstreben wegrationalisiert werden und sich bald ihren gewohnten Wocheneinkauf nicht mehr leisten können.
Herzlichen Dank für dein Statement! Die Zusammenhänge bleiben komplex und auch hier im Rheinland wird es sichtbar: Ich selbst wohne in der Nähe von Lützerath und habe die letzten Tage die Berichterstattung intensiv verfolgt. Glücklicherweise ist niemand ernsthaft verletzt worden. Ich bin selbst als Zauberer aktiv, aber leider nur als Bühnen-Zauberkünstler, sonst würde ich die Probleme dieser Welt schnell wegzaubern. Bleib wie du bist! Viele Grüße, Michael („echter“ Zauberer)