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Den Blick für Inklusion und Teilhabe schärfen

Ohne Alexa zu befragen: Wofür stehen die 12 Sterne auf der Europaflagge?
Wer darauf jetzt lässig mit der „Anzahl der Mitgliedsstaaten“ antwortet,
liegt gekonnt daneben, denn zur EU zählen nämlich schon weit über 50.
Die Sterne stehen vielmehr für Werte wie Einheit,
Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern Europas,
die Zahl 12 symbolisiert Vollkommenheit.
Aha. Aber ehrlich gesagt hätte ich das auch nicht gewusst und
war deshalb umso verblüffter,
als die richtige Antwort in Sekundenschnelle von einem Menschen kam,
dem man es rein optisch nicht zugetraut hätte.
Seit einigen Wochen bin ich im Rahmen einer neuen Aufgabe unterwegs mit gehandicapten Menschen und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus!

Nicht nur während der Exkursion zum Thüringer Landtag,
als die Gruppe die Fraktionsvertreter mit tiefgründigen Fragen löcherten und einen bemerkenswerten Diskurs vom Zaun brachen.
Informiert, belesen und lösungsorientiert begegneten mir Menschen,
die ich lange Zeit nicht auf dem Schirm hatte.
Tatsächlich bemerke ich, dass Themen wie Barrierefreiheit und Teilhabe jahrelang unbeachtet an mir vorbei gegangen sind.
Solange sich im eigenen Dunstkreis niemand mit Handicap bewegt,
verschwendet man daran auch keinen Gedanken.
Dass eine kleine Stufe für manche eine schier unüberwindbare Barriere bedeutet und der Kinosaal deshalb unerreichbar bleibt,
ist eine Erkenntnis, die das für mich bisher Selbstverständliche zum Privileg erhebt.
Hindernisse auszuräumen, Barrieren aus dem Kopf zu löschen,
Inhalte für alle verständlich zu machen,
gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten – die Frage ist nicht ob,
sondern wie lange wir brauchen, bis wirklich alle gleichberechtigt teilhaben können.

Wege entstehen dadurch, dass man sie geht,

soll Franz Kafka einmal gesagt haben.

Was so simpel klingt, entpuppt sich in der Umsetzung aber als außerordentlich mutig bis waghalsig.
Folge ich dem ausgelatschten, scheinbar sicheren Trampelpfad,
der sich vielleicht über Generationen bewährt hat,
oder entscheide ich mich für einen neuen, noch unbekannten Weg.
Abenteuer, Fortschritt, Erkenntnis und ein Hauch Risiko weht aus dem unbetretenen Dickicht.
Es trauen sich in Eisenach erstaunlich viele auf diesen noch immer fremdartigen Weg, der zur Barrierefreiheit führt.


Kultur-, Tourismus- und Bildungsschaffende, Stadtverwaltung und
Bildungsträger stützen sich dabei auf Personen,
die trotz Beeinträchtigung ihre Probleme selbst in die Hand nehmen und zum Experten in eigener Sache werden.
Das Projekt „Kulturbund(t)“,
das am Diakonischen Bildungsinstitut Johannes Falk angesiedelt ist, hat meinen Horizont erweitert und meinen Blick geschärft.

 

Bild und Text: Stefanie Krauss

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